Nachteilsausgleich bei einer Lese-Rechtschreib- oder einer Rechenstörung
Was ist ein Nachteilsausgleich? Wer hat darauf einen Anspruch und wie wird er in der Praxis umgesetzt? Was steht im LRS-Erlass? Was beinhaltet der Notenschutz?
Eltern, deren Kinder eine Lese-Rechtschreibstörung oder eine Rechenstörung aufweisen, haben einige Rechte. Diese haben die einzelnen Bundesländer in ihren Erlassen geregelt. Dennoch herrscht aber häufig große Unsicherheit, wie genau die Umsetzung dieser Rechte aussieht.
Dieser Artikel gibt Antworten auf Fragen, wie das Land Niedersachsen mit einer LRS und einer Rechenstörung bei Schülerinnen und Schülern umgeht.
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Was steht im LRS-Erlass?
In Niedersachsen sind die Bestimmungen zum Nachteilsausgleich im „Erlass zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen“ vom 04.10.2005 festgehalten. (www.mk.niedersachsen.de Stichwort LRS-Erlass)
Dieser „LRS-Erlass“ gilt für alle allgemeinbildenden Schulen in Niedersachsen. Die meisten Maßnahmen sind auf die Grundschule und auf die weiterführende Schule bis Klasse 10 beschränkt. Die Anwendung auf Abschlusszeugnisse ist jedoch nur bedingt möglich. Der Nachteilsausgleich ist jedoch in begründeten Fällen auch weiterhin möglich.
In erster Linie geht es im Erlass um die Förderung der betroffenen Kinder. Darüber hinaus werden aber auch der Notenschutz und der Nachteilsausgleich thematisiert.
Da es hierbei um unterschiedliche Bereiche handelt, macht es Sinn, die einzelnen Punkte im Folgenden getrennt voneinander zu betrachten.
Wie und wann soll gefördert werden?
Der sogenannte LRS-Erlass stellt zunächst die Förderung der Schüler und Schülerinnen in den Vordergrund. Dies macht auch Sinn, denn trotz der Schwierigkeiten des Kindes hat die Schule den Auftrag, den Schülerinnen und Schülern das Lesen, Schreiben und Rechnen zu vermitteln. Es wird im Erlass unterschieden zwischen einer allgemeinen und einer besonderen Förderung. Letztere ist vorgesehen, wenn „besondere Schwierigkeiten“ im Erwerb des Lesens, Schreibens oder Rechnens festgestellt werden.
Was aber sind „besondere Schwierigkeiten“?
Unter dem Punkt „Besondere Förderung“ gibt der Erlass hierzu genaue Vorgaben:
„ … dies gilt insbesondere für Schülerinnen und Schüler,
- in den Schuljahrgängen 1 und 2, denen die grundlegenden Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb und den Erwerb der Grundrechenarten noch fehlen;
- in den Schuljahrgängen 3 und 4, deren Leistungen im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten den Anforderungen nicht entsprechen;
- in den Jahrgängen 5 bis 10, wenn in Einzelfällen besondere Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben oder Rechnen bisher nicht behoben werden konnten.“
In der Praxis zeigt sich die Umsetzung jedoch häufig schwierig. Die Möglichkeiten der schulischen Förderung sind oft durch die personelle und finanzielle Ausstattung begrenzt.
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Was ist ein Notenschutz?
Der Erlass betont, dass auch Schülerinnen und Schüler mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben oder Rechnen in der Regel den Maßstäben der Leistungsbewertung unterliegen, spricht aber auch von Abweichungen in Ausnahmefällen.
„Abweichungen (…) können insbesondere sein:
- stärkere Gewichtung mündlicher Leistungen, insbesondere in Fremdsprachen,
- zeitweiliger Verzicht während der Förderphase auf eine Bewertung der Lese-Rechtschreibleistung,
- zeitweiliger Verzicht auf die Bewertung von Klassenarbeiten während der Förderphase in Mathematik.“
Während der Notenschutz im Bereich Lesen und Schreiben in allen Schulformen bis in Klasse 10 möglich ist, ist er im Fach Mathematik nur in der Grundschule möglich. Die Abweichungen in den Leistungsbewertungen werden in der Klassenkonferenz beschlossen und müssen im Zeugnis vermerkt werden.
In manchen Fällen kann der Notenschutz sehr sinnvoll sein. Oft sind betroffene Schüler und Schülerinnen psychisch sehr belastet und entwickeln Versagensängste. Der Verzicht auf die Bewertung kann hier phasenweise zu einer Entlastung führen.
Andererseits kann aber der Notenschutz auch dazu führen, dass bei den betroffenen Schülern und Schülerinnen die Bereitschaft sinkt, an den Defiziten zu arbeiten. Daher sollte im Einzelfall sehr genau überlegt werden, wann der Notenschutz angewendet werden sollte.
Was beinhaltet der Nachteilsausgleich?
Beim Nachteilsausgleich geht es darum, den Zugang zu den Aufgabenstellungen im Unterricht und bei Klassenarbeiten durch sinnvolle, meist äußere Maßnahmen zu ermöglichen. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben und Inhalte bleibt dabei im Rahmen eines zielgleichen Unterrichts erhalten. In erster Linie ist es die Aufgabe der Lehrkräfte, Schwierigkeiten im Lesen, Schreiben oder Rechnen festzustellen. Die Entscheidung, ob und wie ein individueller Nachteilsausgleich gewährt wird, wird schließlich im Rahmen einer Klassenkonferenz von den Lehrkräften erörtert und bestimmt. Hierbei sollte genau betrachtet werden, wo aufgrund der Schwierigkeiten Nachteile für die Schülerin oder den Schüler entstehen. Der Nachteilsausgleich ist somit immer eine Einzelfallentscheidung. Die beschlossenen Maßnahmen sollen individuell auf die Bedürfnisse der Schülerin oder des Schülers zugeschnitten sein.
Maßnahmen des Nachteilsausgleiches können z.B. sein:
Im Bereich Lesen und Schreiben:
- Gewährung von mehr Zeit zum Lesen,
- Vorlesen der Texte und Aufgabenstellungen,
- Veränderung der Schriftgröße und Schriftart,
- Gewährung von mehr Zeit zum Korrigieren,
- Diktate mit Lückentexten,
- gut strukturierte Arbeitsblätter, ggf. größere und geeignete Schriften und mehr Platz zum Schreiben,
- Reduzierung der Aufgabenmenge,
- Anwendung von Diktier-Software,
- Wörterbücher.
Im Bereich Rechnen:
- Zeitzuschlag oder verkürzte Klassenarbeiten,
- zusätzliche Hilfsmittel, wie z.B. Einmaleins-Tabelle,
- Blanko-Notizzettel für Zwischenrechnungen,
- Rechenarbeitsblätter mit größeren Kästchen,
- individuell angepasste Wiederholungs- und Hausaufgaben,
- grafisch vorstrukturierte Rechenwege,
- Beispielaufgaben und Visualisierungen,
- Taschenrechner
Wichtig ist zu erwähnen, dass die Problematik der betroffenen Schüler und Schülerinnen in vielen Fächern gegenwärtig ist und die Gewährung des Nachteilsausgleichs somit fächerübergreifend anwendbar ist.
Der Nachteilsausgleich wird nicht im Zeugnis vermerkt.
Wie ist der rechtliche Hintergrund?
Grundsätzlich ist es ein Ziel in unserer Gesellschaft, Einschränkungen durch Beeinträchtigungen und Behinderungen aufzuheben und zu verringern. Im Grundgesetz in Art.3 Abs.3 heißt es: “Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Durch dieses Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes sowie durch die Fürsorgepflicht der Schule ist der Nachteilsausgleich sowohl im Unterricht als auch bei Prüfungsnachweisen fest verankert.
Die Entscheidung, ob und wie ein Nachteilsausgleich schließlich gewährt wird, bleibt aber in der Verantwortlichkeit der Schule. Entscheidend ist, ob ein Schüler oder eine Schülerin aufgrund der Beeinträchtigung tatsächlich eine Benachteiligung im Unterricht oder in Prüfungen erfährt, die es auszugleichen gilt.
Einen gesetzlichen Anspruch auf entsprechende Maßnahmen im Rahmen des Nachteilsausgleiches haben Eltern somit nicht. Dies gilt auch dann nicht, wenn eine vom Facharzt diagnostizierte Lese-Rechtschreibstörung oder Rechenstörung vorliegt. Auch in diesem Fall ist es Aufgabe der Schule, mögliche Benachteiligungen zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen zu beschließen. Die Praxis zeigt aber, dass die Schülerin oder der Schüler mit einer entsprechenden Diagnose meistens Nachteile im Unterricht oder bei Klassenarbeiten erfährt und der Nachteilsausgleich in der Regel gewährt wird.
Darf die Schule ein ärztliches Attest verlangen?
Nein. Es muss keine ärztliche Bescheinigung oder Diagnose vorliegen. Dennoch ist eine ärztliche Diagnostik häufig sehr sinnvoll und kann Grundlage oder Anstoß für eine pädagogische Beratung der Schule über einen Nachteilsausgleich sein.
Was können Eltern tun?
Da der Nachteilsausgleich nicht antragsgebunden ist, können und sollten die Lehrkräfte von sich aus tätig werden und mögliche Hilfen im Sinne des Nachteilsausgleiches prüfen. Andererseits haben aber auch die Eltern die Möglichkeit, bei Verdacht einer Lese- Rechtschreibstörung oder einer Rechenstörung auf die Schule zuzugehen.
Die Entscheidung, ob und wie der Nachteilsausgleich umgesetzt werden kann, sollte mit den Eltern besprochen werden.
Hier können und sollten die Eltern auch ihre eigenen Beobachtungen zu Hause zurückmelden. Betroffene Schüler und Schülerinnen haben viele Misserfolge und Frustrationen erfahren und zeigen oft ein geringes Selbstwertgefühl. In der Regel ist auch zu Hause der Hausaufgabenalltag aufgrund der vielen Überforderungen und Misserfolge angespannt und belastend. Maßnahmen im Rahmen des Nachteilsausgleiches können aber auch das häusliche Lernen einbeziehen. So könnten Hilfsmittel für zu Hause, Absprachen bzgl. der Hausaufgabendauer oder bei Bedarf angepasste, vereinfachte Anforderungen für häusliche Entlastungen sorgen.
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