Veröffentlicht am 28. März 2024
Kategorien: Sozialtherapie

Die die Systeme herausfordern

Bericht einer Fortbildung zu den Themen:

  • Kinder und Jugendliche, die mit den klassischen Unterstützungsangeboten nicht erreicht werden!
  • Kinder und Jugendliche, die Pädagogen und Pädagoginnen verzweifeln und scheitern lassen!
  • Kinder und Jugendliche, die immer wieder Einrichtungen wechseln und Beziehungsabbrüche erleben!
  • Kinder und Jugendliche, die sich mit traumatischen Erfahrungen, Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch etc. auseinandersetzen müssen!
  • Kinder und Jugendliche, die kein Vertrauen in Helfersysteme haben!

 

Systemherausfordernde Kinder und Jugendliche

Der Ende 2019 erschienene Film „Systemsprenger“ hatte großen Erfolg bei KritikerInnen sowie dem Publikum und gewann 2020 eine Reihe von deutschen sowie internationalen Film- und Festivalpreisen. Die in den folgenden Jahren zusätzlich erschienenen zahlreichen Dokumentationen und Reportagen, die hinterfragen, warum Kinder und Jugendliche durch das Raster des Hilfesystems fallen, zeigen, dass das Thema nach wie vor brandaktuell ist.

Die Stadt Osnabrück hat mit der Gründung des Arbeitskreises „Systemherausfordernde Kinder und Jugendliche“ reagiert, um diesen Kindern und Jugendlichen möglichst passgenaue Angebote machen zu können. Auch wir als Lega S Jugendhilfe haben uns intensiv mit dieser Thematik beschäftigt.

Fortbildung mit Dr. Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik

Im September des vergangenen Jahres konnten wir unseren Mitarbeitenden im Bereich Sozialtherapie eine zweitägige Inhouse-Fortbildung anbieten. Dafür konnten wir den Experten, der in Deutschland herausragend für die Forschung zu Systemsprengern steht, gewinnen: Prof. Dr. Menno Baumann, Professor für Intensivpädagogik an der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf. Menno Baumann hat zahlreiche Publikationen über „Kinder, die Systeme sprengen“ geschrieben und darüber hinaus die Regisseurin Noro Fingscheidt für ihren Spielfilm „Systemsprenger“ beraten.

In unserer Fortbildung vermittelte Herr Baumann seine Sicht auf den Begriff Systemsprenger. Er betrachtet diesen Begriff nicht als Bezeichnung für ein Kind oder einen Jugendlichen, der bestimmte Eigenschaften hat, sondern für das Prozessgeschehen. Bei Kindern, die als Systemsprenger bezeichnet werden, gelang es der Kinder- und Jugendhilfe aus Sicht von Herrn Baumann bislang nicht, ein Angebotsformat zu finden, das von allen Beteiligten als hilfreich angesehen wird. Herrn Baumann geht es folglich darum, Strukturen und Systeme so zu verändern und anzupassen, dass junge Menschen sie nicht sprengen müssen.

 

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Jedes Verhalten hat für das Individuum einen Sinn

Ausgehend von der Sichtweise, dass jedes Verhalten – sei es noch so „gestört“- für das Individuum einen Sinn hat, bedarf es laut Baumann einer guten, verstehenden sozialpädagogischen Diagnostik, um darauf aufbauend passgenaue individualisierte Lösungen zu finden. Menno Baumann hat hierfür das Verfahren der subjektlogischen Diagnostik entwickelt, das er uns in unserer Fortbildung näherbrachte.

Die subjektlogische Diagnostik ist ein Instrumentarium für Verstehensprozesse, mittels dessen durch ein klar strukturiertes Vorgehen neue Hypothesen auf den Einzelfall entwickelt werden können. Diese Hypothesen geben mögliche Antworten darauf, welcher Sinn dem jeweiligen Verhalten zu Grunde liegt und welche impliziten Ziele das Kind oder der Jugendliche verfolgt. Sie stellen dabei einen wesentlichen Schritt pädagogischer Handlungskompetenz dar. Einerseits ermöglicht die Hypothesenbildung eine andere Wahrnehmung des Kindes oder Jugendlichen, andererseits können auf dieser Basis neue Handlungsstrategien entwickelt werden.

Dieses Vorgehen konnten wir an den zwei Tagen an eigenen Fällen praktizieren und dadurch wichtige Erkenntnisse für unsere weitere Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen gewinnen.

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Vertrauen, Offenheit und Transparenz als Basis

Damit diese in Osnabrück überschaubare Personengruppe nicht aus dem Blick gerät, haben sich sieben Jugendhilfeträger (Trägerverbund Osnabrück) zusammengefunden, um diese Herausforderung zu bewältigen. Eine gemeinsam entwickelte Konzeption ist Grundlage der Zusammenarbeit mit dem Sozialen Dienst.

Durch die Zusammenarbeit im Trägerverbund besteht eine große Auswahlmöglichkeit von Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Eigenschaften. Ihr Einsatz kann passgenau und den Herausforderungen entsprechend flexibel erfolgen. Vertrauen, Offenheit und Transparenz sind Grundvoraussetzungen für ein gelingende Zusammenarbeit auf der Trägerebene. Klare Strukturen, gemeinsame Ziele, zeitnaher Austausch und eine unterstützende Grundhaltung erleichtern die Kooperation.

Seit Mitte 2023 wird ein Jugendlicher, der dieser Personengruppe zugeordnet ist, durch das Trägerbündnis betreut. Er ist in alle für ihn relevanten Prozesse mit einbezogen. Unter den einzelnen Trägern, die im pädagogischen Alltag aktiv an der Hilfe mitarbeiten, gibt es klare, transparente und mit dem Jugendlichen abgesprochene Aufgabenverteilungen und unterschiedliche zeitliche Einsatzzeiten.

Lega S Jugendhilfe als Teil des Betreuungsangebotes

Die Lega S Jugendhilfe ist ein kleinerer Teil dieses intensiven Betreuungsangebotes. Zwei Kollegen aus dem Bereich Sozialtherapie sind an zwei Wochenenden im Monat für insgesamt vier Stunden in die Hilfe einbezogen. Unsere Aufgabe besteht darin, dem Jugendlichen an den Wochenenden als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Darüber hinaus werden Angebote im Bereich der Freizeitgestaltung gemacht.

Auch bei diesen kurzen Kontakten ist es unumgänglich und für die Gestaltung der Termine wesentlich, sich mit dem Jugendlichen in Aushandlungsprozesse zu begeben. Nicht jeder Vorschlag wird begeistert aufgenommen und ablehnende Reaktionen sind immer wieder Teil der Kontakte. Hier sind dann Geduld, Beharrlichkeit und die Akzeptanz der Situation des Jugendlichen gefordert.